Die Zeitzeugin Edith Erbrich erzählt aus ihrem Leben
Zeitzeugin mahnt „Wachsam bleiben!“
Die Zeitzeugin Edith Erbrich erzählte in der Aula der Friedrich-Magnus-Gesamtschule in Laubach einer jahrgangsgemischten Schülergruppe aus ihrer Kindheit. Als Siebenjährige wurde sie zusammen mit ihrem Vater und ihrer Schwester in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt.
Edith Erbrich wurde 1937 in Frankfurt geboren, bekam im Alter von zwei Jahren einen Pass mit einem eingestempelten „J“, das sie als Angehörige des jüdischen Glaubens kennzeichnete. Fortan wurde sie diskriminiert und was das wirklich bedeutete, führte die Zeitzeugin den Schülerinnen und Schülern in ihrem Vortrag auf sehr anschauliche Weise vor Augen. Sie durfte nicht in die Schule gehen, durfte Bänke und Läden „der Deutschen“ nicht mehr besuchen, durfte nicht in öffentlichen Bunkern Schutz suchen. Edith Erbrich berichtete von traumatisch erlebten Bombenangriffen, die sie in ganz normalen Kellern überstehen musste. Schließlich wurde die Familie verschüttet und ausgebombt. Ihrer Wohnstätte beraubt ertrug die Familie ständigen Mangel vor allem an Nahrung, weil die ohnehin schon knappe Zuteilung für die ausgegrenzten Menschen noch einmal halbiert wurde.
Edith Erbrichs katholische Mutter wurde in Beugehaft genommen und sollte im Gefängnis „Hammelgasse“ dazu gebracht werden, sich von ihrem jüdischen Mann scheiden zu lassen. Sie weigerte sich und ihre Kinder haben nie erfahren, mit welcher Misshandlung sie dafür büßen musste. Ihre Mutter hat niemals mehr über diese Tage gesprochen. Im Februar 1945 erhielt die Familie die Aufforderung, sich zur Deportation nach Theresienstadt einzufinden. Als Katholikin durfte die Mutter nicht mit und musste mitansehen, wie Mann und Töchter in einen Viehwaggon verladen und weggebracht wurden. Im späteren Gespräch mit den Schülern wurde deutlich, dass gerade diese Episoden den jungen Menschen sehr nahe gingen. Ein Bild von einem Deportationszug in einem Geschichtsbuch zu sehen ist das eine, aber einem Menschen gegenüberzusitzen, der in einem solchen Waggon tagelang unter erbarmungslosen Bedingungen eingepfercht war, ist ein emotionales Ereignis. Auch Edith Erbrich zeigte sich in solchen Momenten sehr berührt und sprach trotzdem immer wieder von Menschen, die "Mut bewiesen haben". Die Menschen, die die Postkarten, die ihr Vater gegen alle Verbote in den Waggon geschmuggelt hatte, einwarfen, bezeichnete sie als "stille Helden". Alle zehn Karten sind bei ihrer Mutter angekommen.
Bei Ankunft in Theresienstadt am 18. Februar 1945 wurde die Trennung vom Vater sowie die schändliche Behandlung durch die brutalen KZ-Wärter von der Siebenjährigen als traumatisch empfunden. In den nächsten Monaten bestimmten übermächtiger Hunger, Enge, Schmutz und permanente Beobachtung den Lebensalltag des Kindes. Bei den wenigen persönlichen Treffen mit dem Vater versuchte dieser, die ständige Angst seines Kindes mit Zuversicht und Gottvertrauen zu mildern und sie aufzumuntern. Woher er diese Kraft nahm, kann sich Edith Erbrich bis heute nicht erklären. Während ihre Schwester als über Zehnjährige Arbeitsdienst zu leisten hatte, blieb die jüngere Tochter meistens eingesperrt in der Baracke. Spielzeug gab es nicht, Lernen fand statt unter psychischem Druck. Die schon 1942 inhaftierten Großeltern starben in Theresienstadt.
Im April 1945 besuchte eine Delegation des Roten Kreuzes das Lager. Den Kindern war zuvor eingeschärft worden, dass sie die zu diesem Anlass aufgetischten Süßigkeiten demonstrativ ablehnen sollten, weil sie so etwas "alle Tage" bekämen. Dass den Besuchern nichts auffiel und sie die ausgehungerten Kinder nicht wahrnahmen, versteht Edith Erbrich bis heute nicht. Der "schönste Tag" ihres Lebens begann für Edith Erbrich in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1945, als die russische Armee das Lager befreite und die Familie nach Frankfurt zurückkehren konnte. Dort fand sie mit der Mutter und dem inzwischen geborenen Sohn wieder zusammen.
Für Edith Erbrich begann damit ein "normales" Leben, sie absolvierte die Schule und eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Mit dem Eintritt ins Rentenalter entschied sie sich dafür, als Zeitzeugin jungen Menschen von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie nimmt an Projekten von Jugendgruppen, wie z.B. an der Errichtung von Stolpersteinen, teil, von denen sie "mit großem Stolz" berichtete, beteiligt sich an Gedenkveranstaltungen in Theresienstadt und anderen ehemaligen Lagern. Auch in Ausschwitz ist sie einmal mit Jugendlichen gewesen. Erschüttert erfahren ihre Zuhörer, dass ihr Tod in der Vernichtungsfabrik für den 9. Mai 1945 geplant war, wie sie in SS-Akten lesen musste. Diesen Ort will Edith Erbrich allerdings nie mehr betreten. Ihr Engagement als Zeitzeugin, für das sie 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, will sie weiterführen, "solange es geht". Dass es sich dabei um eine höchst wertvolle Aufgabe handelt, bestätigte sich in den Äußerungen der Schüler. Sie zeigten sich sehr dankbar dafür, dass Edith Erbrich ihre schmerzhaften Erinnerungen mit ihnen teilte und sich die Zeit nahm, ihnen von ihrer Lebensbiografie, die sie unter dem Titel "Ich hab´ das Lachen nicht verlernt" veröffentlicht hat, zu erzählen. Den Schülern fiel auf, wie sehr der Titel hier Programm ist, denn Edith Erbrich hat eine sehr warmherzige, offene Ausstrahlung und begegnete den Jugendlichen auf freundliche und einladende Art und Weise, die es den Schülern leicht machte, ihr Fragen zu stellen. Allen im Saal war klar, dass die Veranstaltungen mit Zeitzeugen nur noch wenige Jahre in dieser Form stattfinden können und diese Schüler damit zu den Letzten gehören, die von Augenzeugen persönlich etwas erfahren können. Für umso kostbarer schätzten die Jugendlichen diese Erfahrung ein, damit, wie ein Schüler am Ende formulierte, "so etwas Schlimmes nie mehr passiert!"
Begrüßung durch Brigitte Wiegand von der Laubacher Friedenskooperative, die zusammen mit Jörg Niesner den Vortrag organisierte: